“Gedanken zum Stillen

Ich hatte mir das erste Stillen sehr romantisch vorgestellt. Bondig, Kolostrum, Milcheinschuss, ich war im Thema und bereit. Dann kam die Geburt. Diese, einschließlich Nabelschnur durchschneiden, hatte wenig Romantisches. Was mich überwältigt hat, war die Rohheit, das Animalische des Aktes, auf das ich nicht eingestellt war. Egal wieviel Weiß, Hygiene und Ärzte man um sich schert, die Geburt selbst zwingt einen weg vom Kultur- zum reinen Naturwesen, verbunden mit allen anderen Säugern. Genauso roh und animalisch habe ich auch das erste Stillen empfunden. Kein zartes Tasten oder sanftes Suchen, mein Baby glich einem kleinen Vampir, der gierig mit zusammengeniffenen Aufgenbrauen und Zornesfalte saugte und mich etwas überforderte.

Ebenso unerwartet trafen mich in den folgenden Tagen die Schmerzen (auch wenn ich davon gehört hatte). Stolz, die Geburt und die damit verbundenen Leiden hinter mir zu haben, wollte ich mein kleines Mädchen an mir haben und im Stillhimmel schweben. Schwierig, wenn die durchs Stillen bedingten Rückbildungsbauchkrämpfe zuschlagen und gleichzeitig die Brust wie von innen mit einer Häkelnadel durchbohrt wird. Ich hatte echt keinen Bock mehr auf Schmerzen. Wohl aber aufs Stillen. Leider erwies sich auch das korrekte Halten des kleinen Bündels an der Brust als schwierig- irgendwie stimmte der Winkel nie, bis ich mich ausgekäst hatte, war mein kleines Mädchen entweder ungeduldig am Schreien oder gelangweilt wieder eingeschlafen. Dank netter Schwestern und Geduld wurde es besser. Auch der Milcheinschuss kam pünktlich und ich habe mich nicht von den gut gemeinten Ratschlägen einiger Schwesternschülerinnen (Wollen Sie schonmal zufüttern?) verunsichern lassen.

Dank Tante Google habe ich die Stillpositionen bald optimieren können (mein Fehler war, dass ich das Kind nicht eng genug an mich gepresst hatte). Ansonsten bin ich im Alltag ziemlich schnell dazu übergegangen, ausschließlich im Liegen zu stillen und mein Mädchen in voller Länge an mich zu kuscheln, ohne dass Arme schwer wurden oder Stillkissen verrutschten. Die Schmerzen in der Brust ließen nach (ich hatte schon nicht mehr daran geglaubt) und die Rückbildung war scheinbar auch abgeschlossen.

Trotzdem gab und gibt es einige Krisen. Die Tage, an denen mir das dauernde in den Bauch getreten werden beim Stillen den letzten Nerv raubte. Die Tage, an denen die Brust angebrüllt wurde, anstatt getrunken. Die Tage, an denen beim Trinken die Finger in Nase, Zahnfleisch, Augen gebohrt und gekratzt wurde, gern auch mal bis zum Bluten. Die Tage, an denen ich Angst hatte, dass die Milch nicht reicht, oder mein Kind zu dünn ist. Die Tage, an denen absolut nur die linke Brust akzeptiert wird und das Anbieten der anderen als persönliche Beleidigung gesehen. Die Tage, an denen mit Schwung die neuen Zähnchen an der Brust ausprobiert werden. Stilltechnisch bin ich krisenerprobt. Die wichtigste Erkenntnis ist wohl, dass -wie bei allen Babydingen-Stillkrisen eine Phase sind und vorbei gehen.

Dennoch haben die lustigsten Dinge geholfen, Krisen zu lindern oder das Baby dennoch zum Trinken zu überreden. Ich habe Lieder gesungen (am besten hat der Kuckuck und der Esel funktioniert), wenn mein kleines Mädchen allzusehr gezappelt hat. Alternativ habe ich alle fünf Minuten die Brust gewechselt. Wenn sie gar nicht trinken wollte, hat es seltsamerweise geholfen, mich im Bett mit ihr umzudrehen, also Füße am Kopfende. Auch komplette Positionswechsel haben manchmal Wunder gewirkt, also plötzlich doch im Sitzen statt wie sonst im Liegen stillen. Die blödesten Ideen haben meist die größte Chance zu funktionieren.

Die momentane Krise beutelt meine Emotionen heftig. Tagsüber verweigert sie bei mindestens zwei Mahlzeiten die Brust, ich muss abpumpen und mit dem Löffel füttern. Die so verabreichte Milch nimmt sie gierig und gern, was mir Tränen in die Augen treibt. Nachts weigert sie sich dafür, ohne Brust zu schlafen und fesselt mich ans Bett, was mir das Gefühl gibt fremdbestimmt zu sein und mir auch abends die wenige Zeit nur für mich raubt. Ich weiß es ist nur eine Phase, aber es strengt mich an und gleichzeitig habe ich Angst, dass die Kleine nicht genug zu Essen bekommt.

Wer bis hierher gelesen hat, fragt sich vielleicht, warum ich eigentlich noch voll stille. Bisher ging es ja nur um die Herausforderungen und Krisen. Schon das schöne Wort Stillen beschreibt viel des Gefühls, ganz anders als das kalt-deskriptive englische “breastfeeding”. Das Bedürfnis nach Nähe und Nahrung des eigenen Kindes stillen zu können, ein kleines Wesen nur mit der eigenen Person rundum glücklich machen, ist ein großartiges Gefühl. Ich genieße das Privileg, als einzige mein Baby füttern zu können. Schließlich habe ich es auch 9 Monate ausgetragen und unter Schmerzen zur Welt gebracht. Durch Stillen muss ich Glucken-Mama gar nicht erst mit Familien oder Freunden darüber diskutieren, wer mein Baby füttern darf und wer nicht. Ich. Punkt.

Durch das Stillen im Liegen haben wir viele wunderschöne Stunden verbracht, vor allem viele entspannende Zwischenschläfchen tagsüber. Mein kleines Mädchen an mich gekuschelt. Soviel Nähe. Mittlerweile streckt sie die eine Hand beim Trinken aus und fühlt ganz sanft mein Gesicht hab, die Wimpern, die Augen, den Hals. Ich schaue gerne ihren kleinen Mund an, der sich sanft um meine Brust schlägt, dabei eine herzallerliebste Form annimmt und fleißig nuckelt. Mir graut es vor der Vorstellung, in einigen Monaten langsam abstillen zu müssen. Ich werde Ersatz finden müssen für unsere vielen schönen gemeinsamen Stillmomente und mein kleines Mädchen trösten. So wird es wohl auch ein zutiefst animalischer Drang sein, der mich vielleicht zu einem zweiten Kind treibt: Der Wunsch noch einmal zu stillen.

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